Kolumne: Warum wir so viel arbeiten
Immer wieder tauchen Informationen darüber auf, dass die heutige Generation “Mitarbeiter” mehr arbeitet, aber mehr Selbstbestimmung voraussetzt. Wie kommt das? Was motiviert uns, was demotiviert uns? Dieser Frage möchte ich in diesem Post nachgehen.
Was treibt uns an? Was ist unser Motivator, etwas zu tun?
Für den einen ist es die thematische oder die seelische Erfüllung oder ein Traum, eine Vision; für den anderen oder die andere ist es vielleicht das Miteinander, das einem immer wieder Kraft gibt, weiterzumachen. Ich bin der Meinung, dass man den Motivator schlecht generalisieren kann. Man kann aber für sich selbst überlegen, was das nächste und das übergeordnete Ziel ist, das man selbst verfolgt. Das kann teils noch abstrakt sein, meist erkennt man allerdings schon recht klare Tendenzen. Eine grobe Richtung, in die man gerne gehen möchte. Das kann eine bestimmte Fachrichtung sein oder eine hierarchische Position, die man erreichen möchte. Doch ist das alles?
Viele setzen sich vielleicht berufliche Ziele und einige werden recht klare Vorstellungen davon haben, wie ihre private Wunsch-Zukunft aussehen soll – doch das miteinander in Einklang bringen, die beruflichen und privaten Ziele zu vereinen, das fällt oft schwer. Wer beispielsweise davon träumt, ein Haus zu besitzen oder eine Wohnung, muss dafür eine entsprechend hohe Arbeitsleistung erbringen. Es bringt allerdings oft genau das Gegenteil der Situation, die man gerne hätte. Im Wunschbild sitzt dort das Ich und lässt sich im Garten mit Teich oder im eigenen Pool entspannt die Sonne auf die Haut brutzeln – doch in der Realität bleibt vielen genau dafür dann gar keine Zeit mehr. Für das Haus wird entsprechend viel Zeit auf der Arbeit verbracht, die Tätigkeiten, die die Eltern noch nebenbei irgendwie erledigt haben, werden in im
mer spätere Stunden verlagert – den späten Ladenöffnungszeiten sei Dank. Doch ergibt das Sinn, sich für solch einen halberfüllten Traum so abzuarbeiten? Für manche schon. Denn was ist die Alternative? Im Rentenalter in einer Mietwohnung wohnen, die 80% der eh schon mageren Rente – wenn wir denn noch eine bekommen sollten – auffrisst? Ich denke kaum. Folglich bleibt bei vorausplanenden Individuen keine Alternative, als sich für Haus oder Wohnung entsprechend abzuarbeiten.
Allerdings muss man dabei bedenken: Der größte Palast, die windschnittigste Yacht und der schnellste Supersportwagen verhelfen einem nicht unbedingt zur Glückseligkeit und wenn man sein ganzes Leben nur dafür aufopfert, solche Wünsche zu erfüllen, dabei aber als Mensch und in der sozialen Interaktion auf der Strecke bleibt, ist keinem geholfen.
Was macht die heutige Arbeitswelt aus?
Klar, wir haben uns stetig weiterentwickelt. Vor Jahrtausenden wurde das Rad erfunden, dann irgendwann ein Karren an den man erst Vieh gebunden hat, um voranzukommen und nun den Motor entwickelt und ständig optimiert, um ohne die Abhängigkeit zum Vieh und mit höherer Geschwindigkeit von A nach B zu gelangen. Das ist es; Wir wollen immer nur von A nach B gelangen. Doch die Wirtschaft trichtert uns immer neue Optimierungen ein, zeigt uns in einer eigentlich sehr glücklichen Lage, in der wir uns oft befinden, auf, wie unglücklich wir eigentlich sind und wie viel besser vieles zu lösen ist. In den 1950ern war es Luxus, ein Auto mit einem Radio an Bord zu erwerben. Heute? Bitte was ist ein Auto ohne Radio? Verkaufen Autohäuser sowas immer noch? Und ich meine damit nicht den Schrotti um die Ecke, der das Skelett eines alten Opel Kadett ausschlachtet oder vom Golf 2 die Nebelscheinwerfer vor der Presse rettet. Ich meine Autohäuser, die neue und gebrauchte Fahrzeuge verkaufen, die nicht älter sind als 10 Jahre.
Genau, um die Gesellschaft voranzubringen und die Entwicklung zu fördern, ist sowas super. Doch was ist die Folge aus gesteigerter Geschwindigkeit in der Entwicklung und steigender Konkurrenz? Preisverfall, höhere Chargen und kürzere Pausen, höhere Stückzahlen und mehr Vertriebsabschlüsse im Quartal. Doch genau das stresst uns, macht uns unglücklich und lässt den Traum, selbst wenn er scheinbar erreicht ist, wie einen Ballon zerplatzen. Der Vater, der viel arbeitet, tut dies beispielsweise, um seiner Familie und seinen Kindern einen angenehmen Lebensstandard zu ermöglichen und sie glücklich zu machen. Doch er? Er bleibt dabei genauso wie seine Kinder und seine Frau oder Freundin auf der Strecke. Um sich etwas leisten zu können, muss man selbst erst einmal etwas leisten. Doch genau das gerät ins Ungleichgewicht. Durch die Überstunden und Abende mit Kollegen im Büro bleibt keine oder nur wenig Zeit für die Kinder, für die Frau, für die Familie und Freunde. Die Folge daraus? Entweder man stumpft ab, oder man verliert immer mehr den Bezug zum eigenen Traum.
(Was) können wir dagegen tun?
Jetzt kommen die Klassiker, die jeder schon nicht mehr hören kann: Gesund und fit bleiben, sich vital ernähren, Sport treiben, organisiert arbeiten, um Stress zu vermeiden oder zu mindern und einfach mal abschalten. Einige meiner Freunde sind bereits in den USA gewesen. Ich habe unterschiedlichste, für uns kaum denkbare Sätze gehört. Einer davon handelte von Fernsehern. In der Wohnung eines Gastgebers von einem Bekannten liefen 24/7 die Fernseher. Auf die Frage, warum sie diese nicht ausschalten, kam folgende Antwort (sinngemäß):
“Die Taste auf der Fernbedienung ist der Ein-Schalter.”
Wirklich?! Ja, man kann die Geräte auch ausmachen, sich frei machen von allem, was belastet. Wir haben gedacht, dass wir die Arbeitswelt revolutionieren, wenn wir das Arbeiten an jedem Ort zu jeder Zeit möglich machen. Es stimmt, es hat vieles verändert. Doch leider gibt es auch dort Schattenseiten. Ich will nicht rund um die Uhr immer für jeden erreichbar sein. Ich will auch nicht dem Zwang unterliegen, sobald jemand eine Instant-Message versendet hat, unverzüglich antworten zu müssen. Doch genau das ist mittlerweile oft der Fall. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Ehen, Beziehungen, gute Freundschaften und geschäftliche Beziehungen über diese absolut unnötige Erwartungshaltung zerstört worden sind. Man muss hier klar zwischen synchronen Medien (Telefonie) und asynchronen Medien (Mail, Fax…) trennen. Doch leider gaukeln uns “Instant Messenger” vor, es sei Echtzeitkommunikation auf synchroner Ebene, weshalb diese Erwartungshaltung erst entsteht. Doch das ist ganz klar falsch. Wenn ich eine Nachricht gelesen habe, möchte ich mir vielleicht erstmal Gedanken machen oder recherchieren, bevor ich irgendeinen Dummsülz antworte. Doch so reflektiv sind die seltensten Leute noch.
“Da steht, Du hast die Nachricht gelesen.”
Möglicherweise. Möglicherweise habe ich aber auch nur mein mobiles Gerät entsperrt, was mir die Nachricht zwar angezeigt hat, ich aber grade etwas ganz anderes machen wollte, als diese Nachricht zu lesen. Der Status “empfangen” oder “gelesen” ist manchmal sicher praktisch, dennoch führt er zu unangenehmen Situationen und unnötigen Schuldzuweisungen. Auch hier dachte sich der Entwickler, es wäre sicher praktisch, festzustellen, ob die Nachricht beim Empfänger angekommen ist und auch gelesen wurde. In der Theorie und manchen Praxissituationen sicher, allerdings lange nicht in allen Lebenslagen und emotionalen Verfassungen.
Bestimmt selbstbestimmter werden
Wir müssen selbstbestimmen! Klare Regeln formulieren und kommunizieren. Wenn ich weiß, dass ein Kollege evtl. meine Unterstützung braucht, weil er außerhalb der Dienstzeit bei einem Kunden tätig ist, den ich gut kenne oder Tätigkeiten ausübt, die ich gut beherrsche und er vielleicht weniger, dann bin ich für den Kollegen da. Doch ich halte nichts davon, permanent erreichbar zu sein. Denn mittlerweile ist Bahnfahren beispielsweise die reinste Reizüberflutung geworden. Ständig bimmelt, vibriert, summt, singt, schreit irgendein Smart-Irgendwasgerät vor sich hin. Das muss nicht sein. Wir stressen uns und unsere Gesellschaft künstlich durch solche negativen Nebeneffekte. Wenn ich einen wichtigen Anruf erwarte, habe ich das Handy auch laut. Auch mein dienstliches. Ansonsten habe ich es meist lautlos, damit meine Konzentration bei der Arbeit nicht eingeschränkt wird. Wer ein wichtiges Anliegen hat, ruft ein zweites Mal an bzw. bekommt einen Rückruf. Wenn es nicht wichtig war, war es auch nicht tragisch, den Anruf zu ignorieren.
Wir müssen aber auch uns selbst bestimmter machen. Uns selbst fragen, wo wir hinwollen, was unsere Ziele sind, was wir nicht wollen und welchen Weg wir gerne gehen möchten. Vielen sind die im vorangegangenen Satz genannten Punkte nämlich zu schwammig, um sich selbst die Kompassnadel zu stellen und loszulegen. Doch das sollten wir tun. Unseren inneren Kompass befragen, den Verstand bewerten lassen und dann auf unser Herz hören. Oder andersrum. Doch wir sollten es tun. Wir müssen es tun und wir werden es tun, um uns unsere Ziele vor Augen zu führen und unseren Kompass nach Norden auszurichten. Unserem Norden. Und dann loslaufen und tun.
Was denkst Du darüber? Tut uns die heutige Arbeitswelt gut oder ist sie eher ein Laster, das anders angefasst werden muss?
Schreib´s in die Kommentare!